Klappentexte eines Buches bekommt man im Internet kaum zu lesen -- aber daraus zitieren, das kann man: "... formuliert eine politische Bestandesaufnahme und zeigt, was wir als Nächstes zu erwarten haben. Und wie die Schweiz, zwischen EU und Euro, zwischen UNO und Nato, dabei ist, sich selbst neu zu erfinden." Sie lesen sich immer gut, diese Werbetexte auf Buchdeckeln, weil sie nur die Hälfte der Wahrheit erzählen. Die andere Hälfte steckt im Buch, und die soll man … mehrgefälligst selbst entdecken. Jürg Altweggs Bestandsaufnahme dessen, was schon seit über drei Jahrzehnten als fester Begriff im intellektuellen Diskurs über die Schweiz herumgereicht wird, die helvetische Malaise, ist erst einmal spannend und wird dann mit fortschreitender Lesedauer irritierender. Weil der Autor mit Wohnsitz Genf den Blick auf bestimmte Katastrophen (Swissair, Zug, Gotthard) aus einer ganz anderen Perspektive wirft. Das ist eben der Schwachpunkt des Buches, denn Altwegg, der die französischen Soziologen und Philosophen der Moderne kennt, bemüht eben diese ein wenig zu oft als Zeugen seiner eigenen Gedankengänge. Und man fragt sich zu Recht, was diese denn beim Verständnis für die Schweiz zu suchen haben -- denn mit ihr beschäftigt, das haben sie sich partout kaum. Wer also soll dieses Buch lesen? Keine Frage: die Ausländer. Denen verspricht Altwegg mit klarer Sprache und eloquentem Stil Aufklärung über die eidgenössischen Sonderfälle, indem er sie, eben aus dieser welschen Perspektive, erläutert. Und somit zum Sonderfall sui generis wird. Mit Verlaub, die Schweiz von dieser Ecke ihrer Landkarte zu betrachten, macht schon Sinn, nur sollte der Autor die Perspektive auch beibehalten und nicht ständig über die Saane setzen, die in diesem (Buch-)Fall zum Acheron wird. Das Buch, das den Untertitel Essay zur Lage der Nation trägt, teilt dem Leser, der in dieser so genannten Nation wohnt, wenig Überraschendes mit, weil er sie zunächst als solche nicht wahrnimmt. Und bisweilen will er auch nicht wissen, was die Miteidgenossen französischer und italienischer Sprache denken. Ergo liest man als Schweizer genau das, was man schon längst weiß und im stillen Kämmerlein für sich auch schon gedacht hat. Sinnreicher wäre gewesen, Altwegg hätte eine knallharte Sichtweise der Romandie auf diese Malaise serviert, das aber hat er nicht getan. Was tun damit? Bei Auslandsreisen als Geschenkbuch mitbringen. Das ist eine gute Idee. Denn eines darf man Altwegg nicht nachsagen: dass er unausgewogen ist. Und was er jeweils als Kulturkorrespondent für die Frankfurter Allgemeine Zeitung in klugen Gedanken über die Schweiz formuliert und aus dem Fluss der Zeit ans Ufer rettet, muss auch nicht immer im Buch resümmiert werden. --Carlo Bernasconi weniger