Es ist natürlich völlig richtig und nur ein bisschen selbstbeweihräuchernd, wenn Alice Schwarzer 25 Jahre nach ihrem Weltbestseller Der kleine Unterschied fragt, was in der Zwischenzeit an der Front der Frauenemanzipation geschehen ist. Der große Unterschied nennt Schwarzer diese durchaus humorvoll und verbindlich gehaltene politische Bestandsaufnahme. Ja, die Frauen haben viel erreicht in diesem Vierteljahrhundert, das sagt auch Alice Schwarzer. Gerade deshalb ist … mehrVorsicht geboten: der Kampf ist noch nicht zu Ende. Schließlich schlägt unter der Oberfläche der regierungsamtlich propagierten Gleichstellung nach wie vor "das dunkle Herz der Männerherrschaft: Sexualgewalt." Deren Darstellung gilt nun der Hauptteil ihre Buches, wobei Vergewaltigung, Missbrauch, Pornografie, Abtreibung, Prostitution und Männerjustiz die Stichworte sind. Oft genug ist Schwarzers Argumentation jedoch einfach nicht nachvollziehbar. Dass sie etwa in der Pornodebatte die Arbeiten des Modefotografen Helmut Newton ein weiteres Mal für exemplarisch erklärt, ist abstrus und ein Satz wie "nicht zuletzt die Pornografie sorgte dafür, dass das 'Bumsen' siegte", schlicht entlarvend. Bevor nicht der Koitus als Sexualpraxis ausgerottet ist, wird es ihrer Auffassung nach wohl keine weibliche Emanzipation geben. Denn im "Rammeln" zeigt sich -- jedenfalls für Schwarzer -- die Sexualgewalt in nuce. Ja, so sektiererisch kommt sie daher. Das schadet ihrem Anliegen bei den Frauen, aber das kann Alice Schwarzer nicht sehen, nicht an diesem Punkt, der ihr wunder Punkt ist, der Punkt ihrer Verblendung, der Penetration heißt. Es gibt bessere Anlässe, auch für Alice Schwarzer, Ideologiekritik zu üben. Denn es gibt mehr als genug männliche Gewalt. Sie ängstigt und besorgt nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Freilich auch hier sehr verschieden. Mord und Totschlag aus Fremdenhass -- weil angeblich politisch motiviert -- sind ernst zu nehmen, zumal sie gleichzeitig dem Ansehen des Standorts Deutschland schaden. Nach wie vor geht aber der gewöhnliche häusliche Mord aus Frauenhass die Gesellschaft nichts an, er ist ja nur ein "Familiendrama". --Brigitte Werneburg weniger