In der Regel haben schwangere Frauen eher das Problem, daß der Vater des Kindes schneller verschwunden ist, als ihnen lieb ist. Bei Judith, Meir Shalevs Hauptperson in seinem Roman Judiths Liebe, ist das ganz anders. Gleich drei Männer in ihrer Umgebung beanspruchen die Vaterschaft für ihren Sohn Sejde. Klugerweise äußert sich Judith nie so genau zu den wahren Verhältnissen und so hat Sejde den Vorteil, daß sich seine drei unterschiedlichen Väter aufopferungsvoll um ihn … mehrkümmern. Der eine bereitet an jedem wichtigen Lebensabschnitt für ihn ein ganz besonderes Festmahl zu. Bei dieser Gelegenheit erzählt er Sejde die Geschichte seiner Geburt und wie es dazu kam, daß es seine Mutter in dieses abgelegene israelische Dorf verschlagen hat. Der andere Vater, ein Viehhändler, versorgt Sejde mit dem notwendigen Geld, und Mosche Rabinowitz, auf dessen Hof Judith und ihr Sohn leben, bietet Unterkunft und Verpflegung. Eine recht angenehme Mischung für Sejde. Meir Shalev gelang mit Judiths Liebe ein opulenter, farbenprächtiger Roman, der in großen Bögen ausholt und die phantasievollen Geschichten der Dorfbewohner mit ungeheurer Fabulierlust sammelt. Er gehört zu den Romanciers, die noch den Atem haben, weit verzweigte Familiensagas zu erzählen, die den Leser mit ihrer Lebensfreude und ihrer Tragik in ihren Bann ziehen. "In längst vergangenen Tagen gurrten dort Tauben und gaben Kühe Milch. Tau sammelte sich in den Kannendeckeln, goldener Staub tanzte. Einst wohnte dort eine Frau, lachte und träumte, arbeitete und weinte und brachte mich dort in ihre Welt. Das ist eigentlich die ganze Geschichte. Oder wie Tatmenschen in ihrem widerlichen Brustton der Überzeugung zu sagen pflegen: 'Das wär´s unterm Strich'. Und alles was fortan darauf gehäuft wird, ist nichts als sinnloser Detailkram, zur Befriedigung jener heißhungrigen beiden Tierchen, der Neugier und der Lust, in alten Geheimnissen herumzustöbern, die in unser aller Seelen nisten." Genau diesen "Detailkram" beschreibt Meir Shalev auf faszinierende Weise und die "Wühlechsen der Sehnsucht, das flinkste und schwerfaßlichste aller Gefühle" läßt er genüßlich durch seine Geschichte kriechen. --Manuela Haselberger weniger