Verglichen mit dem gleichzeitig neu aufgelegten Monsieur Gallet, der 20 Jahre früher entstanden ist, werden bei der "alten Dame" alle Eigenheiten deutlich, die Simenon vor seinen Kollegen auszeichnet. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit erzählt er die Geschichte von Fernand Besson, der sprichwörtlich netten alten Dame von nebenan, die auf den ersten Blick hilflos in die Ereignisse verstrickt scheint, im Laufe der Handlung jedoch eine ganz andere Rolle zu spielen … mehrbeginnt. Maigret verschlägt es dieses Mal in das kleine Küstenstädtchen Etretat. Rose, das Dienstmädchen von Madame Besson, wurde vergiftet, und alles spricht für einen Anschlag, der eigentlich Madame selbst gegolten hatte. Tatzeit ist der Geburtstag der alten Dame, anwesend waren an jenem Abend außer Rose noch ihre beiden Söhne und ihre Tochter -- die entsprechend die Liste der Verdächtigen anführen. Eigentlich hat Maigret in jener abgelegenen Gegend nichts verloren. Der Schwiegersohn von Madame bekleidet jedoch eine einflussreiche politische Stellung; und Madame selbst hat den weiten Weg nach Paris auf sich genommen, um den Kommissar um Hilfe zu bitten. Die Entwicklung des Falles überrascht dann nicht nur Maigret, der zwar dickköpfig an allen Beteiligten dran bleibt, gelegentlich aber auch von Zweifeln geplagt wird. Der Klappentext spricht völlig berechtigterweise von einer hinterlistigen und makabren Geschichte -- von der Pointe mal ganz zu schweigen! Maigret und die alte Dame überzeugt -- repräsentativ für die meisten Maigret-Romane -- als Krimi und als psychologischer Thriller; ein Feld, auf dem sich viele Autorinnen und Autoren tummeln, ohne Simenon jedoch das Wasser reichen zu können. Schon gar nicht dem Simenon der 50er Jahre, der in einer solchen Geschwindigkeit fast ausnahmslos gelungene Werke schuf, dass an der singulären Existenz dieses Mannes Zweifel aufkommen mussten... --Hannes Riffel weniger