Woher ich komme, Alexa Hennig von Langes vierter Roman, ist der Gedankenbericht einer 30-Jährigen, die sich aus gegebenem Anlass an ihre Kindheit erinnert. Mit ihrem Vater fährt sie zurück in das Ferienhaus, das sie seit ihrer Kindheit kennt. Der erneute Besuch der Meereslandschaft konfrontiert sie mit angenehmen und unangenehmen Erinnerungen, vor allem aber mit dem frühen Verlust von Mutter und Bruder. "Ich habe dir nie gesagt, wie es damals war", sagt die Erzählerin. … mehrNur vage deutet sie an, wer angesprochen wird. Hennig von Lange spielt subtil mit Auslassungen und Assoziationsangeboten, hantiert souverän mit Stimmungen, Erinnerungsbildern und Zeitebenen -- und legt die Rekonstruktion des Erlebten in die Hand des Lesers. Die Entschlüsselung dieses Familien-Psychogramms macht einen wesentlichen Reiz dieses Buches aus. Einmal mehr -- nach Ich bin's (2000), Ich habe einfach Glück (2001) und der Erzählung Lelle (2002) -- ist das zentrale Thema "Familie", doch der Ton ist ein völlig anderer. Hennig von Lange konzentriert die Gedanken ihrer Erzählerin auf kurze Absätze. Sie beschreibt leise, melancholisch und setzt nach 1.000 Seiten Teenie-Jargon auf die Wirkung des Schlichten: "Wenn es warm draußen ist, wenn es Nachmittag ist, wenn du, mein Bruder, ausgeschlafen hast, zieht dich Mama flüsternd aus dem Bett, auf ihren Schoß... Du sitzt, halb liegst du noch, fast wie ein Ertrunkener, dein Kopf an ihrer Brust, du blinzelst. Mein Bruder, jetzt öffnest du die Augen". Stellenweise trieft das ein wenig vom Kitsch der poetischen Pose. Trotzdem ist diese Geschichte (mit etwas mehr als 100 Seiten eher eine Erzählung als ein Roman) glaubwürdig. Und es liegt in dieser Spurensuche in der Geschichte der persönlichen Gefühle ein Urmotiv des Aufschreibens: die Bergung der Momente des Älterwerdens. Die Generation der Autorin hat sich bisher nur wenig dafür interessiert. Was wäre, wenn niemals einer gesagt hätte, wie es damals war? --Nikolaus Stemmer weniger