"Nachdem ich ein Buch mit dem Titel Schönhauser Allee herausgebracht habe", notiert Wladimir Kaminer amüsiert, "genieße ich verstärkt die Aufmerksamkeit der Einwohner rund um die Schönhauser Allee. Unbekannte sprechen mich auf der Straße an und geben mir gute Ratschläge und Tipps, worüber ich noch berichten sollte." Manche von seinen neuen Bekannten fühlten sich nun selbst animiert, etwas über ihre Umgebung zu Papier zu bringen, und sammelten bereits eifrig Material … mehrdafür. Er sehe diesen Versuchen gelassen entgegen, bekundet Berlins berühmtester Russe: Stoff für Geschichten sei schließlich ausreichend da. Die kleine Geschichte, in der Kaminer über seine Position als Kiez-Chronist im Prenzlauer Berg von Berlin reflektiert, trägt den bezeichnenden Titel "Menschen, die einander was erzählen". Auch in Kaminers neuester Sammlung literarischer Alltagsminiaturen geht es wieder ausschließlich um die merkwürdigen Zweibeiner und ihre mitunter absonderlichen Verhaltensweisen -- ganz gleich, ob diese nun in Berlin oder Krasnojar/Sibirien zum Tragen kommen. Und weil der Mensch also das Maß aller Dinge ist, ist es nur konsequent, dass dieses anthropozentrische Weltbild schon in den Überschriften seinen Niederschlag findet. Schließlich wurde jede der 36 kurzen Erzählungen in seinem Namen geschrieben: Da geht es um "Menschen, die einkaufen", "Menschen, die spielen", "Menschen unter Tannenbäumen", und selbstverständlich auch um "Menschen, die einander überzeugen". Feinsinnig unterscheidet der Autor zwischen "Menschen" und "Einheimischen" und berücksichtigt auch Sonderfälle wie "Menschen mit Datschen" oder "Menschen, die lesen". Natürlich sind diese Menschen meist Bekannte des Autors, oder er ist ihnen zumindest einmal begegnet. Kongenial illustriert wird das Ganze mit Schnappschüssen aus Helmut Höges Dia-Sammlung. Ende der 80er-Jahre begann der ehemalige Weltenbummler und heutige taz -Autor damit, auf Trödelmärkten alte Dias aus den 50er- bis 70er-Jahren zu kaufen. Fotos, auf denen häufig Menschen zu sehen sind (meistens Ehefrauen), die der Fotograf (meist der knipsende Ehemann) eigentlich nur als Vordergrund für eine historische oder landschaftliche Kulisse dort hingestellt hat. Im Nachhinein, sagt Höge (im Gespräch mit Kaminer: "Menschen, die einander interviewen"), interessierten die Urlaubs-Highlights keinen mehr. Während die Beschäftigung mit Menschen, wenn man -- wie die Herren Höge und Kaminer -- etwas davon versteht, nie langweilig wird. Auch wenn sie immer wieder die gleichen Fehler machen. "Noch in der Pubertät beginnt der Mensch nach den Gründen seines Unglücks zu suchen und wird dann schnell in seiner Umwelt fündig. Das verfluchte Land und die idiotischen Zeitgenossen sind schuld. Er will weg; neue unbekannte Welten entdecken ... Dort wird er aber jedes Mal mit Eingeborenen konfrontiert. ... Höflich, freundlich und unkonventionell zeigen sie dem Neuankömmling wie dumm es von ihm war, auf die Idee zu kommen, dass es anderswo anders sein könnte." --Axel Henrici weniger