Am Tag vor der Hochzeit macht die Braut plötzlich einen Rückzieher und lässt alles absagen. Bräutigam, Verwandte und Freunde sind entsetzt: Erst die aufwändigen Vorbereitungen und jetzt das! Der Skandal ist perfekt und das unverständliche Verhalten der bis dahin angepassten, unauffälligen jungen Frau sorgt noch wochenlang für Gesprächsstoff. Gehört man selbst zu den Betroffenen fällt es einem schwer, der Sache etwas Positives abzugewinnen. Dass solche Ärgernisse oft … mehraber durchaus ihr Gutes haben, ja sogar sinnvoll, nützlich und notwendig sein können, zeigt Allan Guggenbühl anhand zahlreicher Beispiele aus dem Alltag. Ganz im Sinne der Tiefenpsychologie von Carl Gustav Jung fragt der Autor dabei immer wieder nach dem "wozu" von zunächst unerklärlichen, empörenden Verhaltensweisen. Vielleicht war es für die oben erwähnte Braut wichtig und heilsam, sich durch einen Paukenschlag von der erdrückenden Bevormundung ihrer Familie zu befreien. Wenn jemand gesellschaftliche Normen verletzt, führt dies sofort zu allgemeiner Aufregung und damit zu belebenden Emotionen. In der betroffenen Gruppe wird angeregt diskutiert und gelästert, wodurch das Gemeinschaftsgefühl gestärkt wird. So berichtet der Autor, dass die Watergate-Affäre ihm seinerzeit einen intensiven Gedankenaustausch mit einer amerikanischen Familie beschert habe, wofür er dem damaligen Präsidenten Richard Nixon noch heute dankbar sei. Im gesellschaftlichen Kontext haben Skandale die Funktion, gemeinsame Werte wieder verstärkt ins Bewusstsein zu rücken und Fehlentwicklungen zu korrigieren. Persönliche Skandale bringen uns in Kontakt mit den Tiefen unserer Seele und helfen dabei, unser eigentliches Wesen vollständiger zu entwickeln (Individuation). Leser, die sich schon ein wenig mit C.G. Jung beschäftigt haben, werden von diesem Buch doppelt profitieren. --Stephan Schmidt weniger